Kommentar: Die Diskriminierung der eigenen Staatsbürger liegt im Trend

Kommentar: Die Diskriminierung der eigenen Staatsbürger liegt im Trend

In den letzten Jahren zeichnet sich in der Europäischen Union ein beunruhigender Trend ab: die Diskriminierung der eigenen Staatsbürger. Was in Deutschland schon länger beim Sprachnachweis als Einreisevoraussetzung für Ehepartner aus Drittstaaten im nationalen Kontext bekannt ist, weitet sich aus.

Es zeigt sich, dass auch europäisches Recht zunehmend in einer Weise ausgelegt wird, die die Grundsätze des Unionsrechts regelrecht herausfordert. Insbesondere ist festzustellen, dass Unionsrecht nach Belieben gebeugt wird und das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot einfach ignoriert wird, was sich von restriktiven Visapraktiken bis hin zu Steuervorteilen erstreckt. Dies schafft ein starkes Ungleichgewicht innerhalb der EU und ermöglicht weitere nationale Alleingänge.

Familiennachzug: Schon lange ein Problemfeld

Der Familiennachzug ist ein Bereich, in dem diese Diskriminierung besonders spürbar wird. Deutsche Staatsbürger sehen sich mitunter unverhältnismäßigen Hürden gegenüber, wenn ihre Ehepartner aus Drittstaaten nachziehen möchten. Die seit 2007 geforderte Praxis des Sprachnachweises auf SD1-Test-Niveau (zwischen Niveau A1 und A2), stellt für viele eine enorme Hürde dar. Für viele Menschen erweist sich dieser Test oft als unüberwindbares Hindernis, denn es ist schlichtweg nicht jeder sprachlich gleich begabt.

Das Problem liegt jedoch nicht nur in der Härte der Regelung selbst, sondern vor allem in ihrer diskriminierenden Anwendung im europäischen Kontext. Während Ehepartner von EU/EWR-Bürgern oder aus bestimmten privilegierten Drittstaaten vom Sprachnachweis befreit sind, müssen deutsche Staatsbürger mit Ehepartnern aus nicht-privilegierten Drittstaaten diese Hürde überwinden. Dies schafft ein klares Ungleichgewicht und führt zu dem Gefühl, als deutscher Staatsbürger in den eigenen familiären Beziehungen benachteiligt zu werden. Die eigentliche Kritik richtet sich hier nicht gegen die Existenz von Drittstaatenregelungen an sich, sondern gegen die unterschiedliche Behandlung von EU-Bürgern und ihren Familienangehörigen im Vergleich zu anderen Konstellationen, die im Ergebnis das Recht auf Familienleben beeinträchtigt.

Die Familienangehörigen der eigenen Staatsbürger sollten einfach nicht schlechter gestellt sein, als die Familienangehörigen aus anderen Staaten wie z. B. den USA, Japan oder unseren europäischen Nachbarn.

Dies erkannte bereits unser aktueller Verteidigungsminister Boris Pistorius im Jahr 2014:

„So eine Regelung ist für uns nicht nachvollziehbar. Ebenso wenig wäre vermittelbar, dass der Sprachnachweis zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen und zur Förderung der Integration in besonderer Weise beim Nachzug zu deutschen Staatsangehörigen erforderlich ist.“

Familiennachzug auch im Kontext des europäischen Freizügigkeitsrechts problematisch

Selbst beim Wegzug in andere EU-Länder (bei welchen sodann kein Sprachnachweis mehr erfoderlich ist) verschärfen restriktive Visapraktiken und unionsrechtswidrige Ablehnungen das Problem. Anträge werden oft nach dem Motto „Klag doch wenn du willst“ abgelehnt, was langwierige und belastende Gerichtsverfahren nach sich zieht. Dieses Vorgehen verlagert die Beweislast und die Durchsetzung von Rechten auf das Individuum und konterkariert den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes. Die Europäische Kommission hat wiederholt auf „fehlerhafte Umsetzung und falsche Anwendung“ der Familienzusammenführungsrichtlinie durch die Mitgliedstaaten hingewiesen, was die systematische Natur dieses Problems unterstreicht.

Binnengrenzkontrollen: Eine Notlage, die keine ist

Parallel zu diesen Entwicklungen halten einige Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, an vermeintlich temporären Binnengrenzkontrollen fest. Dies geschieht unter dem Vorwand einer anhaltenden „Notlage“, obwohl die Zahlen zur irregulären Migration so niedrig sind wie seit vielen Jahren nicht mehr. Aktuelle Gerichtsurteile, wie die des Verwaltungsgerichts Berlin, haben bereits festgestellt, dass diese Kontrollen rechtswidrig sind, da keine Notlage im Sinne des Schengener Grenzkodex (SGK) vorliegt.

Der Schengener Grenzkodex ist eindeutig: Grenzkontrollen an den Binnengrenzen sind nur in Ausnahmefällen und bei einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit zulässig. Die fortgesetzte Praxis, diese Kontrollen zu verlängern, ohne eine solche Bedrohung nachweisen zu können, stellt eine Verletzung des ursprünglichen Schengener Geistes und seiner rechtlichen Grundlagen dar. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie grundlegende Prinzipien des Unionsrechts zugunsten nationaler, oft populistisch motivierter Politiken beiseitegeschoben werden. Es untergräbt die Reisefreiheit der EU-Bürger und deren Familienangehörigen sowie die Einheit des Schengen-Raums.

Sonderprogramme: Die Missachtung des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots

Ein weiterer Aspekt der aktuellen Entwicklung sind die speziellen Aufenthalts- und Investitionsprogramme, die einige EU-Mitgliedstaaten etabliert haben. Diese sogenannten Digital Nomad Visa oder aber Golden Visa bieten erhebliche Steuervorteile und vereinfachte Wege zur Aufenthaltsgenehmigung oder eben sogar zur Staatsbürgerschaft – aber mit einer entscheidenden Einschränkung: Sie sind ausschließlich für Nicht-EU-Bürger verfügbar.

Zu den Risiken und Nebenwirkungen der deutschen Staatsbürgerschaft fragen Sie am besten Ihren Wahlkreisabgeordneten.

Länder wie Kroatien ermöglichen digitalen Nomaden, bis zu einem Jahr ohne lokale Einkommensteuer zu leben. Malta lockt mit Steuerbefreiung im ersten Jahr oder einem Pauschalsatz von 10 % auf Auslandseinkünfte. Und selbst in Spanien war es bis April 2025 mit einem Golden Visa möglich, durch eine hohe Immobilieninvestition einen Aufenthaltstitel zu erwerben. Maltas „Golden Passport“-Programm ermöglichte gar den Erwerb der EU-Staatsbürgerschaft gegen hohe Summen.

Der explizite Ausschluss von EU-Bürgern von diesen Programmen ist ein Problem. Während zwar die Motivation darin liegen mag, eine „Steuermigration“ innerhalb der EU zu verhindern, führt diese Politik zu einer direkten Verletzung des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots (Art. 18 AEUV und Art. 21 Abs. 2 Charta der Grundrechte). Die Mitgliedstaaten biegen hier wesentliche Grundsätze des Unionsrechts zurecht, wie sie es gerade brauchen. Sie schaffen Anreize für externes Kapital und Talente mit Vorteilen (Steuererleichterungen, einfachem Wohnsitz), die ihren eigenen Bürgern und anderen EU-Bürgern explizit verwehrt bleiben, obwohl diese Programme meist zeitlich stark begrenzt sind.

Dies führt zu einem Paradoxon: Während wir EU-Bürger in unseren Heimatländern Höchststeuersätze von bis zu 50 % unseres Einkommens entrichten, gefolgt von weiteren Konsumsteuern und Abgaben, erhalten Nicht-EU-Bürger in einigen Mitgliedstaaten privilegierte Behandlung. Die anderen Mitgliedstaaten schauen dabei oft tatenlos zu, möglicherweise aus einem ähnlichen nationalen Interesse am Schutz der eigenen Steuergrundlagen. Doch diese Zurückhaltung schafft ein systemisches Ungleichgewicht innerhalb der Union und untergräbt die Idee der EU-Staatsbürgerschaft, indem sie externes Kapital über die Gleichbehandlung und Freizügigkeit der eigenen Bürger stellt und das Unionsrecht weiter aushöhlt.

Erosion der Unionsbürgerschaft: Ein Vertrauensverlust mit weitreichenden Folgen

Dies zeigt, dass die wahrgenommene „Diskriminierung der eigenen Staatsbürger“ in der EU ein vielschichtiges Problem darstellt, das die Grundlagen der Unionsbürgerschaft angreift. Wenn EU-Bürger sich innerhalb der Unionsgrenzen gegenüber Nicht-EU-Bürgern benachteiligt fühlen, erodiert das Vertrauen in die Prinzipien der Freizügigkeit, Nichtdiskriminierung und Zusammenarbeit. Die „Klag doch wenn du willst“-Mentalität bei Visumverfahren und die Kommodifizierung von Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsrechten für Wohlhabende stellen die Gründungsprinzipien der EU in Frage.

Das wegweisende Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 2025 gegen Maltas „Golden Passport“-Programm ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es stellt klar, dass der Erwerb der Unionsbürgerschaft nicht aus einer kommerziellen Transaktion resultieren kann. Dieses Urteil muss als Präzedenzfall dienen, um ähnliche „Golden Visa“-Programme kritisch zu hinterfragen, die das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot potentiell verletzen.

Es ist dringend eine kohärentere und konsequentere EU-Politik erforderlich, die die Rechte aller EU-Bürger schützt und die Prinzipien der Nichtdiskriminierung und des gegenseitigen Vertrauens aufrechterhält. Die EU-Institutionen – insbesondere die EU-Kommission – müssen die Vorrangigkeit des EU-Rechts und seiner Kernwerte gegenüber nationalen, kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteilen oder restriktiven Einwanderungspolitiken effektiv durchsetzen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Vorteile der EU-Integration gerecht verteilt werden und das Konzept der Unionsbürgerschaft für alle bedeutungsvoll und inklusiv bleibt. Andernfalls riskieren wir, dass der Trend zur Diskriminierung der eigenen Staatsbürger das Fundament unserer Union weiter untergräbt und das Vertrauen in das europäische Projekt nachhaltig beschädigt wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert